Sonntag, 13. März 2011

Zwei Euro pro Tag – Aufruhr in Arabien





Zwei Euro pro Tag – Aufruhr in Arabien

Lernen ist eine schwierige Sache, wie die folgenden Geschichten zeigen. Die arabischen Länder sind im Aufruhr. Der Westen konstruiert ihn als Verlangen nach Demokratie, einige auch nach Freiheit, die Einheimischen sehen es erdverbundener: Befriedigung der Grundbedürfnisse. A grain price spike preceded the North African revolutions.[1] Die Maslowsche Bedürfnispyramide herrscht auch im Pyramidenstaat:

“Wir wollen Brot, Freiheit und Gerechtigkeit”

Die Nullsummenlogik als Merkmal einfachen Denkens kommt ihnen zu Hilfe: die Machtelite kassiert ab. Führte ihren Reichtum auch noch vor. Hätten wir mehr von diesem Geld, ginge es uns besser. Im Jahr 2008 lief die Geschichte schon einmal: Dramatischer Anstieg der Rohstoffpreise, insbesondere für Lebensmittel (Wir stellen einen alten Beitrag erneut ins Netz, unverändert). Jim Rogers sagt es seit Jahren: Investiert in Rohstoffe. Die Deutschen gründen eine Rohstoff AG, weil sie Investitionen in seltene Erden verschlafen haben, es eigentlich immer noch tun. Die grüne Revolution bringt es nicht mehr. Ausgelaufen. Genetisch „Manipuliertes“ scheitert aus den bekannten Gründen. Die Preise für landwirtschaftliche Güter steigen unaufhaltsam an. Der Economist hat es ausführlich untersucht.[2]

Was ist unser Beitrag, der Beitrag der Exporteure von Demokratie? Wir legen Anbauläche brach. Bioenergie/benzin wird von EU-Kommissaren auf Druck von Klimaschützern verordnet.[3] Die Zentralbanken tragen zu dem ständigen Anstieg der Rohstoffpreise bei. Füttern durch Billiggeld die Spekulation. Mehr Geld ausgegeben zu müssen für Brot und andere Grundnahrungsmittel macht mehr Menschen arm. Sie revoltieren. Wenn Länder im Bürgerkrieg wie Libyen auch noch Öl und Gas weniger exportieren, trifft es uns auch, die Ärmeren wie immer am meisten. Der Sauditest steht noch aus. Kein Widerstand erlaubt. Auch die U$A wird ihn zu verhindern wissen. Eine Gallon Benzin für 10 $ überlebt auch Obama nicht. Sind die Aufstände in Arabien auch die unbeabsichtigte Folge des westlichen Lebensstils, der dafür sorgt, daß ein beträchtlicher Teil unserer Nahrungsmittel im Müll landet? (Economist).


Quelle: www.fao.org

Der Markt funktioniert. Die politische Klasse macht Ärger. Überall die Hände drin. Wir wissen was gut für euch ist. Die Intelligenz ist in ETF-Rohstoffonds investiert. Dem armen Mensch bleibt der Hunger.

Die Preisentwicklung des von Rogers gemanagten Rohstoff-ETF ( RJA in New York). Die Deutsche Bank hat gleichfalls einen ETF für Landwirtschaft laufen (DBA, notiert in New York).




In 2008, food shortages triggered riots across the world, from Haiti to Somalia. It’s no coincidence then that the tottering regimes of Tunisia, Egypt, Libya, and counting, which could have fallen anytime in the last 30 years have come under acute pressure now. As Mary Antoinette would have noted in 1789, when bread becomes a luxury, rulers should watch out.

http://blogs.forbes.com/adamgordon/2011/03/01/high-commodity-food-price-decade/

Es folgt unser alter Text, vor drei Jahren geschrieben.

Ein Euro pro Tag

Jochen Röpke

Update: 10. März 2008

1. März 2008

Ein Euro pro Tag. Soviel verdient ein Landarbeiter in einem indonesischen Dorf in Westjava, der höchstentwickelten Provinz in Indonesien. Seine Familie, drei Personen, benötigt zum Über leben drei Euro (40,000 Rupiah).[4] Die Landflucht schlägt daher neue Rekorde. Im informellen Sektor der Städte läßt sich etwas mehr verdienen, aber bei 1.8 Millionen Arbeitslosen in Westjava ist das ohne Selbstausbeutung auch nicht zu machen. Immerhin fördert die Provinzregierung das Training von Unternehmertum bei Arbeitslosen,[5] was wir in Deutschland, dem Land der Mitnahmeeffekte, wieder abgeschafft haben. Frau und Kinder bleiben im Dorf. Landwirtschaft wird eine Angelegenheit von Frauen. Die Diskriminierung von Frauen ist hier ohne Chance. Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Land sind rar, versteckte Arbeitslosigkeit verbreitet. Da die Einkommen bereits am Existenzminimum liegen, hilft ihnen auch die deutsche Einsicht wenig, durch Lohnsenkung Arbeitsplätze zu schaffen. Auf die Idee, Geld für Lohnsubventionen à la Nokia zu spendieren, ist noch niemand gekommen. Das Kinderhilfswerk hat sich auch noch nicht sehen lassen. Ihre Berater lassen sich schließlich nicht für einen Euro pro Tag abspeisen. Und die Fahrer von Cayennes in der Londoner City und ihr Master aus Zuffenhausen haben anderes im Kopf als das von ihnen mit verursachte Elend in der Dritten Welt.

Wir beobachten eine zweifache Umverteilung des Reichtums: Zwischen Reichen und armen Ländern und innerhalb der armen Nationen. Entwicklungshilfe, auf Indonesisch gesagt: lupalah! Vergiß es!

Was passiert?

Nichts – außer gelegentlicher Berichterstattung in der Zeitung, auf die sich der Autor stützt. Da gerade die Reisernte im Gang ist, berichten die Medien ausführlich über das, was auf den Dörfern so alles vor sich geht. Über Preise und Einkommen zu reden, ist in Indonesien Teil der Kultur. Jedermann weiß was der Präsident mit nach Hause nimmt.

Alles ist optimal geregelt, wie in den Lehrbüchern der Ökonomie, auf deren Grundlage sich die Bundesregierung beraten läßt. Die Bauern verkaufen ihren Reis (Rohreis, gabah) für 2,000 bis 2,500 Rupiah (0.20 Eurocent) pro kg an die Händler. Auf einem Hektar erzeugen sie fünf Tonnen ungeschälten Reis, der ihnen 500 Euro bringt.[6] Natürlich betrachten sie sich als abgezockt – aber schließlich bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Genossenschaften existieren nicht (mehr). Innovation ist – lehrbuchgerecht – eine Rarität. Neue Arbeitsplätze gibt es daher auch nicht. Die Armut funktioniert also so, wie es das neoklassische Paradigma lehrt: effizient. Die indonesischen Bauern müssten Verdi doch endlich darüber Nachhilfe geben, was einen gerechten Lohn ausmacht.

Eine Eigenschaft der Daten über Armut in Indonesien ist ihre Schwankungsbreite. Das Amt für Statistik Indonesiens (Biro Pusat Statistik) schätzt den Anteil der Armen auf 16.5 Prozent der Bevölkerung, die Weltbank auf knapp die Hälfte der Bevölkerung (49 Prozent).[7] Wichtig ist natürlich, wie aus solchen Daten Information wird und aus Information sich Wissen erzeugt, insbesondere bei der politischen Klasse des Landes. Als kürzlich eine Mutter und ihre zwei Kinder verhungerten, löste dieses Ereignis einen Minischock im Lande aus - das war es. Die politische Klasse beschäftigt sich mit sich selbst. 2009 steht die Wahl an. Wie verteilen wir die Sitze? Wie halten wir Konkurrenz neuer Parteien aus dem System heraus (deutsche Lösung: 5 Prozent)? Die Armen bekommen Gutscheine um Lebensmittel wie Speiseöl billiger zu erstehen. In einem Bezirk der Hauptstadt Jakarta verteilen staatliche Unternehmen (Telekom, Bank Mandiri u.a) an 4000 Haushalte Nahrungsmittelpakete im Wert von jeweils 50,000 Rupiah (knapp 4 Euro, in Kaufkraft das Doppelte): Reis, Speiseöl, Zucker, Nudeln: „Corporate social responsibility“. [8]

Die Presse berichtet ausführlich, welch großes Geld sich mit Palmöl (und Kokosnüssen, Superersatz für konventionellen Dieselsprit) verdienen lässt. Der Wirtschaftsminister des Landes (Bakrie) mischt über seine Plantagenfirma (Aktien auch in Deutschland gehandelt) kräftig mit. Der Baum des Lebens (Kokospalme) hält unsere Cayennes am Leben.[9]

Ave Gabriel, thank you GWB, danke EU. Die Todgeweihten grüßen Euch!

Immerhin leisten wir unseren Beitrag zum Lebensunterhalt in indonesischen Dörfern. Die ökologischen Erzengel einschließlich Gabriel, vom Gott Gaia auf die Erde gesandt, kommen in unser Land, sogar in God’s Own Nation, stärken unser Bewußtsein, doch endlich mehr Biosprit zu produzieren. Die indonesischen Bauern danken es ihnen. Den Reis essen sie, teilweise noch selbst - noch. Einige können sich den selbstproduzierten Reis bereits nicht mehr leisten. Beim Öl zum Kochen und Braten müssen sie fast täglich höhere Preise bezahlen. 13,750 Rupiah pro kg, exakt ein Euro, ein neuer Höchststand.[10] Für den Ökonomen interessant ist die Aussage der Beteiligten: Niemand weiß so recht, warum die Preise so hoch sind (Die deutsche Botschaft hat ihnen schließlich auch noch keinen Kontakt mit den allwissenden Klimaforschern aus Potsdam ermöglicht). Das Entdeckungsverfahren des Marktes (F.A. Hayek) funktioniert in Reinkultur. Indonesien produziert eigentlich genug Palm- und Kokosöl. Aber die Plantagen verkaufen es auf dem Weltmarkt bei rasant steigender Nachfrage - für die Produktion von Kraftstoff (biofuel). Zumindest die Orang Utans (Waldmenschen) und Tiger und Elefanten haben es besser. Sie brauchen sich um ihr Überleben keine Sorgen mehr zu machen. Palmölplantagen ersetzen den Urwald. Kleben wir wenigstens einen Aufkleber mit Tigerkopf in unsere Cayennes, damit wir uns daran erinnern, wem wir für unseren Tankinhalt dankbar sein dürfen.


[1] Parapundit, 27. Februar 2011, http://www.parapundit.com/archives/007938.html

[2] The Economist, The 9 billion-people question, 24. Februar 2011,

http://www.economist.com/surveys/downloadSurveyPDF.cfm?id=18205243&surveyCode=%254e%2541&submit=View+PDF

[3] Markus Becker, Die Mär vom Prima-Klima-Sprit, Spiegel Online, 4. März 2011, http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,749055,00.html; Nadine Oberhuber, Ökowahn aus dem Zapfhahn, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 6. März 2011, S. 53.

[4] Kompas, 25. Februar 2008, S. A, Urbanisasi sulit dibendung (Urbanisierung schwierig einzudämmen).

[5] Kompas, 27. Februar 2008, S. C: 1,8 juta penganggur terdidik di Jabar (1.8 Millionen Arbeitslose erhalten Training in Westjava).

[6] Kompas, 28. Februar 2008, S. J: Petani mendesak agar harga gabah dinaikkan (Bauern machen Druck für steigende Preise für Reis).

[7] Kompas, 9. März 2008, S. 2: Data BPS tentang kemiskan.

[8] Kompas, 9. März, 2008, S. 4: 4.000 RT sangat miskin di DKI dapat bantuan (4000 sehr arme Haushalte erhalten Hilfe in Jakarta).

[9] Heri Susanto, Melesat minus tenaga kerja (Wachstum ohne Arbeitskräfte), Tempo, 9. März 2008, S. 70-71.

[10] Kompas, 29. Februar 2008, S. 26: Minyak goreng mencapai Rp. 13.750 per kg (Öl zum Braten und Kochen erreicht 13,750 Rupiah pro kg).

8. März 2011

8. März 2011

Nato und Sunzi in Libyen

Die Nato in Libyen scheint nur noch eine Frage der Zeit. Das Wollen ist längst da. Das Können auch. Nur das Dürfen fehlt noch (UN-Mandat). Sieht man sich an, was die „Rebellen“ machen, schon erstaunlich zu sehen, auch für einen nicht in Militärstrategie geschulten Beobachter. Lassen wir offen, wie ihr Agieren sich moralisch und ethisch rechtfertigen ließe, da auch ihr Aktivsein Zivilisten in den Himmel schickt. Zweifellos ist Gaddafi der Satan und die anderen sind die Engel. Wie immer im politischen Geschäft, der Zweck heiligt die Mittel. Wenn andere, Unbeteiligte, in den Wüstensand beißen, der Schuldige ist längst ausgemacht.

Mit einer solcher Strategie hätten die Vietcongs niemals die Amerikaner nach Hause geschickt und die Mullahs Iran vom Schah befreit. Aus der Geschichte zu lernen ist, wie Aldous Huxley so oft zu betonen wußte, nahezu ein unmögliches Unterfangen. Der Chinese Sunzii hat vor langer Zeit die Logik dargelegt, wie man solche Kriege gewinnt. Die Vietcong und vorher Mao haben sie umgesetzt. Die Nato wird es schon richten. Allah wartet schon auf die Opfer.

Sunzi (500 vor Christus), Die Kunst des Krieges

Die Macht ist bösartig und unersättlich – erst stumpft sie uns ab gegen das Leid anderer Menschen und dann macht sie uns süchtig danach, denn nur das Leiden anderer verleiht uns die Gewißheit, das unsere Macht über Sie ungebrochen ist. Im Gegensatz dazu will wahre Autorität nur das Beste für die Mitmenschen; ihr Wirken ist geprägt von Mitgefühl und Gerechtigkeit.

Der klügste Krieger ist der, der niemals kämpfen muß.

Eingreifen in Lybien?

5. März 2011

Eingreifen in Lybien?

Soll die Nato den Anti-Gaddafiisten helfen? Usw. Viele Antworten.

Eine ist die von Laozi. Die weiche Zunge besiegt die harten Zähne, sagt uns Laozi. Bis zum „Sieg“, beißen die Zähne aber erst einmal ins Gras: „Härte und Stärke sind die Soldaten des Todes“ (Lao-tse, 1996, S. 46).

Die daoistische Position somit: Zurückweisung jeder Art von Intervention in die Autonomie von Systemen. Ob Schule oder Wirtschaft oder Religion oder Politik. Wer etwas ändern will, ändert sich selbst. Auch Intervention zum (vom Eingreifer konstruierten) Vorteil weist der Daoist zurück. Verantwortliches, ethisch gebotenes Nicht-Handeln (wuwei). Eine harte, rigorose, für viele unmenschliche Position. Nahezu eine Delegation von Emotion an Roboter – die, unsere Vorhersage, bei Extrapolation der Interventionswut der politischen Akteure, ohnehin die Herrschaft an sich reißen. „Wir sind doch keine Roboter“, äußert der Sprecher der sozialistischen Parlamentsfraktion in Frankreich. Wir machen eine „intelligente Opposition“. [1]

Können wir zwischen guter und schlechter Intervention unterscheiden? Der Daoist sagt nein. „Intervention ist Intervention und ist inhärent destruktiv und ungeeignet“ (sagt Russell Kirkland, ein Daoismusforscher). Hier finden wir einen großen Unterschied zum Konfuzianismus. Letzterer herrscht auch im modernen China und ist direkt anschlußfähig an westliches Denken mit seiner Angst vor Chaos und Instabilität. Läßt man die Welt allein, tendiert sie zum Chaos, wir sind aufgefordert, zu kontrollieren, einzugreifen, zu stabilisieren, Menschenrechte zu sichern. Nicht nur, wenn solches, in einer komplexen Welt autopoieiischer Systeme funktionieren würde. Sie ist auch niemals losgelöst von den Ambitionen, Wünschen, Egoismen und Machtspielen derjenigen, die sie initiieren. Es gibt keine „reine“ Intervention engelgleicher Natur. Engel sind geschlechtlose, emotionsfreie, spirituelle Roboter.



[1] Le Monde, 27. Juni 2007, S. 32. Diskriminieren Aussagen wie diese nicht die Spezies der Roboter und widersprechen dem Geist des Antidiskriminierungsgesetzes, insbesondere angesichts des Umstandes, daß Roboter, schon heute mehr im Kopf haben, als die meisten Menschen jemals an intellektueller Leistung aufbringen, schlagen sie doch bereits menschliche Schachweltmeister mit der Qualität ihrer künstlichen Intelligenz.

Was tun in Ägypten?

3. März 2011

Was tun in Ägypten?

Ägypten ist das Land, in dem die durch holländische Krankheit bedingten strukturellen Herausforderungen am wenigstens ins ökonomische Gewicht fallen. Das Kernproblem hat Schumpeter (Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1911/2006) formuliert:

(Die) Tatsache entwicklungsloser Volkswirtschaften lehrt uns daß Individuen, die fähig und geneigt sind, solche Neuerungen durchzuführen, völlig fehlen können (339-40).

Was zu tun wäre, folgt daraus. Wird es nicht getan, passiert das, was historisch schon gelaufen ist, und in Zukunft noch gravierender zu Tage treten könnte. Wir müssen es nicht im einzelnen ansprechen. Wir verweisen erneut auf Parapundit, 27. Februar, 2011: Egypt faces deeper poverty?

Die Bundesregierung mobilisiert Entwicklungshilfe für Ägypten. Einige Helfer wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) fühlen sich umgangen. Unter anderem soll ein Mikrokreditprogramm für Existenzgründer installiert werden. Wir schlagen hierzu vor, Herrn Yunus, der gerade von der Grameen Bank entlassen wurde, als Topberater zu engagieren. (JR hat im übrigen vor einigen Jahren ein Buch zu „Cooperative Entrepreneurship“ veröffentlicht, welches auch ins Arabische übersetzt wurde.)Deutschland hat eine lange Tradition auf diesem Feld – man denke an die Kreditgenossenschaften von Raiffeisen -, die jedoch niemand im Microcreditbusiness zur Kenntnis nimmt. Ob Mikrokredite nach dem Grameenmuster Entwicklung fördern, ist offen. Innovationsleistungen kennen wir nicht. In den arabischen Ländern ist noch kein Innovationssystem enstanden, welches nachhaltige Armutsüberwindung leisten könnte, wie es etwa Raiffeisen mit seinen genossenschaftlichen Mikrokrediten zu schaffen vermochte. Entwicklungshelfer und Berater können dies nicht leisten. Geld ist nicht der Engpass, zudem Saudi Arabiens Milliarden auf ihren Einsatz warten. Die Religion bietet kaum Impulse, nicht zu vergleichen mit der prostestantischen Ethik in Mitteleuropa.

Freitag, 4. März 2011

Neue Kombinationen

Neue Kombinationen

20. Juni 2009

Modifiziert: 4. März 2011

Wir zitieren kommentarlos aus der ersten Auflage der Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, erschienen 1911, Neuauflage 2006. Ur-Schumpeter. Weitgehend unbekannt. Für die spracharmen, hochreputierten, angelsächsischen Ökonomen terra incognita. Auf Druck der Kollegen hat Schumpeter Theorieradikales in späteren Auflagen entfernt. Einiges haben wir gegen Ende zitiert. Den theoretischen Fortschritt seit 1911 betrachte ich als eher marginal – andere „Österreicher“ und Neo-Schumpeteriander ausgenommen. Daher der Titel unseres Blogs: Neukombination. Er setzt einen Blog fort, den wir an anderer Stelle unterhalten haben aber auf Wunsch Andersdenkender nicht weiterführen sollten.

Das Problem mit Schumpeter und anderen radikalen Denkern: Man muß sie für sich selbst re-konstruieren. In der Logik von Niklaus Luhmann und Humberto Maturana ist Schumpeter ein „Konstruktivist“. An anderer Stelle haben wir dies begründet. Für diejenigen unter uns, die stressgeplagt und ritalinsüchtig über wenig Zeit verfügen, sich mit dem jungen Schumpeter – oder dem alten F.A. Hayek – zu beschäftigen, das längere Zitat (J.R.)

Joseph A. Schumpeter (1911)

Wie setzt sich das Neue in der Wirtschaft durch?(S. 162).

Die neuen Kombinationen sind zunächst nichts Materielles, sie sind zunächst überhaupt nichts. Ihr Vorhandensein im Bewußtsein einiger Leute ändert nichts an dem Gange der Wirtschaft und ist an sich, wie wir sahen, so bedeutungslos wie die Kanäle im Mars.

So ist also die Energie das ent­scheidende Moment und nicht die “Einsicht" allein. Letztre ist viel häufiger, ohne daß sie zur einfachsten Tat führt (164).

Was den (Unternehmer) charakterisiert, ist wie hier, so überall die Energie der Tat und nicht die des Gedankens. Und diese Funktion ist wesent­lich für die Entwicklung auf allen Gebieten. Der gleichsam schutzlose neue Gedanke würde so gut wie nie beachtet werden. Er bliebe unbekannt oder doch unverstanden — denn zu der Aufnahme von etwas Neuem ist ein Prozeß des Umdenkens für alle in statischen Bahnen Hingleitenden nötig —, er würde auf Ablehnung oder doch nur auf jene matte, vage Art der Zustimmung stoßen, die zu wirklicher Fruchtbarkeit nie führen kann (544).

Unsre Behauptung ist also, daß ein Unternehmer der­jenige ist, der neue Kombinationen durchsetzt, wozu, wie wir sahen, nichthedonisches Handeln so gut wie stets nötig ist. (S.172).

Nur dann erfüllt er die wesent­liche Funktion eines solchen, wenn er neue Kombinationen realisiert, also vor allem, wenn er die Unternehmung gründet, aber auch, wenn er ihren Produktionsprozeß ändert, ihr neue Märkte erschließt, in einen direkten Kampf mit Konkurrenten eintritt usw.(S.174).

Der erste Unternehmer, der den hedonischen Bann bricht, der auf jeder stationären Volkswirt­schaft ruht, hat große Schwierigkeiten zu überwinden. Sein Tun begegnet Mißtrauen und offenem oder passivem Wider­stand. Die Rechtsformen und die technischen Bedingungen, deren er bedarf, müssen erst geschaffen werden. Besonders die Finanzierung seiner Unternehmung ist eine ganz neue und unbekannte Operation. Eine starke Persönlichkeit nur kann sich da durchsetzen. Sie unternimmt ein Wagestück, zu dem großer Mut gehört. Mißlingen und Untergang sind wahrscheinlicher als Erfolg. (S. 430)

Bei der Durchsetzung neuer Kombina­tionen … tut er zweierlei: Erstens fällt er die von einer unübersehbaren Anzahl verschiedener Momente, von denen manche überhaupt nicht genau gewertet werden können, abhängige richtige Entscheidung, ohne diese Momente erschöpfend zu unter­suchen, was nur wenigen Leuten von ganz bestimmter An­lage möglich ist, und zweitens setzt er sie dann durch. Das sind die Charakteristika und die Funktionen unsres Unter­nehmers, unsres Mannes der Tat. Sie sind untrennbar und gleich wichtig. Und das Resultat ist wirtschaftliche Ent­wicklung, Fortschritt. Nur von unserm Typus gehen sie aus, nur durch seine Betrachtung sind sie zu verstehen (S.177).

Um überhaupt produzieren, seine neuen Kombinationen durchführen zu können, braucht der Unter­nehmer Kaufkraft. Und diese Kaufkraft wird ihm nicht, wie dem statischen Produzenten, automatisch im Erlös der Produkte aus der vorhergegangenen Wirtschaftsperiode dar­geboten. Wenn er sie nicht zufälligerweise sonst besitzt — und wenn das der Fall ist, so ist das lediglich die Kon­sequenz früherer Entwicklung —, muß er sie sich “aus­leihen" (207-8).

(Die) Tatsache entwicklungsloser Volkswirtschaften lehrt uns daß Individuen, die fähig und geneigt sind, solche Neuerungen durchzuführen, völlig fehlen können (339-40).

Es folgt aus der ganzen Anlage unsres Gedankengangs, daß es kein dynamisches Gleichgewicht gibt. Die Entwick­lung ist ihrem innersten Wesen nach eine Störung des bestehenden statischen Gleichgewichts ohne jede Tendenz, diesem oder überhaupt irgendeinem andern Gleichgewichts­zustande wieder zuzustreben. Sie ändert die Daten der statischen Wirtschaft und zwar nicht durch organische Um­bildung, sondern gerade durch Neugestaltung und sozusagen unorganisch. Sie strebt aus dem Gleichgewichte heraus. Das was man organische Entwicklung nennen könnte, ist etwas andres, führt auf andern Bahnen anderswohin. Tritt dann auch wieder ein Gleichgewichtszustand ein, so ge­schieht das nicht durch die Triebfedern der Entwicklung selbst, sondern eben durch eine Reaktion gegen dieselbe, durch andre Kräfte, welche ihr gerade das Ende bereiten und eben dadurch die erste Voraussetzung für die Her­stellung eines Gleichgewichts schaffen. Das erste dagegen, was eintritt, wenn es wieder zu einer Entwicklung kommt, ist die neuerliche Störung des Gleichgewichts der Volks­wirtschaft. Entwicklung und Gleichgewicht, beides in unserm Sinne genommen, sind also Gegensätze, die einander aus­schließen. Es wird nicht die statische Wirtschaft durch ein statisches und die dynamische Wirtschaft durch ein dyna­misches Gleichgewicht charakterisiert, sondern es gibt über­haupt nur in der erstem in Gleichgewicht. Das Gleich­gewicht der Wirtschaft ist essentiell ein statisches (489).

Da aber die Tatsachen der Entwicklung ihrerseits nicht einfach in das Gebäude der Statik ergänzend eintreten, sondern sich zum Teile außerhalb desselben als besondres und ein­heitliches theoretisches Ganzes konstituieren, so handelt es sich in der Nationalökonomie essentiell um zwei verschiedene Tatsachengruppen, nicht etwa nur um zwei Auffassungs­weisen.(513).