Donnerstag, 6. August 2009

Daoismus als Erklärungsmodell für wirtschaftliche Entwicklung

In diesem Blog geben wir Hagen Fisbeck

das Wort. Sein Blog mit obigem Titel übernehmen wir vollständig, mit nur wenigen grammatikalischen Änderungen.
Er beschäftigt sich – wir zitieren die Beatles: „Without promotion, nothing happens“ – mit dem Buch von Jochen Röpke & Ying Xia, Reisen in die Zukunft kapitalistischer Systeme, 2007. Ying Xia hat in Deutschland promoviert und arbeitet nunmehr bei chinesischen Startup-Firmen, von denen es zwei bereits an die Nasdaq geschafft haben.
Der Originalbeitrag von Hagen Fisbeck ist zu finden auf seinem „Beobachter-Blog“. Fisbeck schreibt dort bemerkenswerte Beiträge zu Unternehmertum, Management, Entwicklung aus innovationslogischer Perspektive. Fisbeck arbeitet(e) als CEO in der Tochterfirma einer großen deutschen Warenhauskette.
Da Chinesen vieles dessen, was den Daoismus ausmacht, internalisiert haben, auch wenn offiziell der Konfuzianismus das Sagen hat, ist der Westmensch nicht schlecht beraten, sich mit dieser Weisheitstradition zu beschäftigen, einmal, weil China uns, ceteris paribus, ohnehin ökonomisch beerben wird („Amerikas Rettung liegt in China“[1] ), zum anderen, weil in den Grundzügen eine überraschende Affinität zwischen dem daoistischen und schumpeterschen Denken besteht. Auch Nietzsche und der eine oder andere „Postmoderne“ ließen sich gut unterbringen. Das gleiche gilt für Konzepte des Konstruktivismus und der modernen Systemtheorie. Eine Tradition also, die chronologisch alt und spirituell, philosophisch, ethisch und handlungspraktisch jung ist.


Nunmehr die Überlegungen von Hagen Fisbeck.
Quelle.

Nachfolgend wird auf Basis der Überlegungen von Jochen Röpke und Ying Xia aufgezeigt, warum der Daoismus ein ideales Erklärungsmodell für wirtschaftliche Entwicklung darstellt. Der Daoismus ist keine metaphysische Lehre und kein Glaubenssystem. Er beschäftigt sich mit der „realen“ Welt, mit dem Lauf der Welt und der Dinge in ihr, mit den Prinzipien und Möglichkeiten und Strategien ihrer Gestaltung, Verbesserung, Evolution, auch ihres Niedergangs und ihrer Zerstörung. Der Daoismus ist keine lebensfremde Philosophie; er reflektiert die chinesische historische Entwicklung über viele Jahrhunderte und ist eine theoretische “Antwort” auf die “Herausforderungen” der Moderne. Laotse, auf den der Daoismus zurückgeht, hat die Natur intensiv beobachtet und über die grundlegenden Prinzipien der Natur nachgedacht. Daoismus gibt keine Moral vor, hält wenig von Regeln und macht keine Vorschriften. Niemand sitzt auf einem hohen moralischen Roß und bepredigt seine Gläubigen. Was soll man tun? Die Pferde frei galoppieren lassen. So bieten die Amerikaner für Unternehmertum eine attraktive Umwelt und verfügen über reichlich Unternehmertum. Sie lassen ihre unternehmerischen Pferde galoppieren, anstelle ihnen so straffe Zügel anzulegen, daß sie ihrer Natur verlustig gehen. Gott ist im Daoismus Privatsache. Daoismus ist deswegen religionstolerant. Es existiert kein Oberhaupt, kein „Papst“, es gibt keinen Führer, weder spirituell noch weltlich und keine Gurus. Daoismus ist eine chinesische Weltanschauung, Philosophie und für manche auch Religion. Daoisten sind Menschen, die dem Dao folgt oder lernen ihm zu folgen. Sie sind bereit, sich auf den natürlichen Lauf der Dinge einzulassen.
Dao ist ein Grundbegriff des chinesischen Denkens und kann vereinfacht als „Methode“, „richtige Wege“, „Prinzip“ oder „Fähigkeit“ interpretiert werden. Eine genaue Definition ist nicht möglich. Ein Dao von dem man reden kann, ist nicht ein beständiges Dao (Laotse). Aus konstruktivistischer Brille: Was der Sprecher sagt, ist nicht immer das, was er meint und auch nicht immer das, was die Zuhörer wahrnehmen und verstehen. Was man sieht, ist auch nicht absolut das, was man wahrnimmt. Das dao ist für verschiedene Leute unterschiedlich, auch für die gleiche Person unterschiedlich, wenn sie in verschiedenen Lebensphasen und emotionalen Zuständen sind. Die Welt des Daoismus besteht aus subjektiver Konstruktion und Erfahrung. „Ein Dao, von dem man reden kann, ist nicht ein beständiges Dao“, weil die Menschen mit dem Namen und mit dem, was sie damit verbinden, Unterschiedliches verstehen, und weil die gleiche Person mit dem gleichen Wort in unterschiedlichen Zusammenhängen, bei unterschiedlichen Erfahrungen auch ganz Unterschiedliches „konstruiert“.
Ein Weg kommt zustande, indem er begangen wird. Jeder Mensch und jedes System geht seinen eigenen Weg, ist auf seinem eigenen „Lauf“. Steve Jobs hat genau das getan, was Laotse und Zhuangzi Zum-auf-den-Weg-kommen verlangen. Anfangen, den ersten Schritt tun. Wer alles vorher wissen will, alles im Kopf durchdenkt und durchplant, jeden möglichen Widerstand und alle Risiken auf die Gegenwart abdiskontiert, venture-capital-logisch sein Leben gestaltet, paralysiert sich selbst, kommt nicht auf den Weg. Er erzeugt, in seinem Kopf, in seinem Fühlen und Denken, die Widerstände, die er vermeiden will. „Ein Weg (dao) kommt zustande, in dem man ihn geht“ (Zhuangzi). Ein Lauf gelingt/vollbringt sich beim Gehen. (Zhuangzi). Der Weg, dao, ist daher kein festgelegter, im Voraus geplanter, bereits gemachter. Es ist der Lauf der sich spontan entfaltenden Dinge, der Welt, der Lauf des Wassers. So ist auch die Wirtschaft ein Ort des unentwegten Wandels. Das Dao ist der Lauf, der Fluß, das Treiben oder der Prozess der Natur. Dieser ist jedoch nicht vorhersagbar. Ein Lauf (dao) dessen Richtung man weisen/zeigen kann, ist nicht der stetige (ständiger Veränderung unterworfene) Lauf der Dinge/der Natur/der Welt (Laotse).Der Weg als Lauf ist ein in seinem normalen, gewöhnlichen Ablauf unaufhörlich sich verändernder und zyklischer Weg, der sich von selbst, spontan-natürlich reproduziert. Für den Daoismus ist alles zyklisch. Die Kondratieff-Zyklen zeigen das Dao oder den Lauf der Wirtschaft. Die Entwicklung der Wirtschaft vollzieht sich in Wellenform. Wenn wir beschreiben wollen, was wirklich geschieht, dann paßt nach Schumpeter nur das Bild der Wellenbewegung und nicht das der einheitlichen Kurve. Der Lauf der Wirtschaft verkörpert sich bzw. reproduziert sich in/durch Neuerungen, in einer Abfolge von Neuerungen, durch Ko-Innovation.

[Die Abbildung wurde von JR ausgetauscht]

Daoisten sind Interventionsskeptiker. Sie sehen “Systeme” ähnlich wie die moderne Systemtheorie als geschlossen, von ihren eigenen Strukturen bestimmt, nur in Grenzen steuer- und lenkbar. Gerade deswegen sind es Systeme, die sich entwickeln und Evolution lieben. Evolution ist aus daoistischer Sicht nicht intervenierbar. Ein “sollen” behindert den natürlichen Lauf, die spontane Freiheit, die Entwicklung und Evolution. Evolutionsdynamik und Innovationszyklen sind in daoistischen Systeme normal. Systeme im Gleichgewicht, welches noch immer die gängige Management-Lehre vermittelt, sind solche, die mit dem Leben abgeschlossen haben.
Eine grundlegende Unterscheidung im Daoismus wird zwischen Sein (you) und Nichtsein (wu) getroffen. Das Nichtsein (wu) wird als der Anfang von Himmel und Erde genannt. Das Sein (you) wird als die Mutter der “zehntausend Dinge” genannt.(Laotse: Dao De Jing, Kapitel 1). Das Nichtsein ist das, was man nicht sehen, nicht hören und auch nicht mit der Hand greifen kann. Laotse sagt in seinem Konzept von Nichtsein: Nichtexistenz existiert, auch in der Wirtschaft. In diesem Nichtsein (Wissen, Fähigkeiten, Persönlichkeit,…) sind die Embryos des Seins (Güter, materielle Ressourcen,…) enthalten. Man kann die zehntausend Dinge also erzeugen. Sie fallen nicht als Manna vom Himmel. Wenn es Systeme, Unternehmer und Unternehmen gibt, denen es gelingt, aus dem Nichtsein ein neues Sein zu schaffen, dann ist das ökonomische Spiel für diejenigen gelaufen, die keinen Zugang zum Nichtsein - vor allem zum neuen Nichtsein - schaffen, oder das Nichtsein nicht ins Sein umsetzen können. Das Nichtsein ist somit kein absolutes Nichts, sondern ein Nichtsein mit potentiellem Sein. Die Funktion des Unternehmers besteht darin, das potentielle Sein zu einem wirklichen Sein zu machen, Nichtsein in Sein zu transformieren. Die unternehmerische Transformationsleistung ist dabei abhängig von der Funktionstiefe von Unternehmertum, d.h. auf welcher Ebene der Unternehmer tätig ist - als Routine-Unternehmer, Arbitrageur, Innovator oder Evolutorischer Unternehmer.
Die gegebenen materiellen Ressourcen und die aus ihnen hergestellten Güter gehören zum Sein. Die Leistungen und Produktionsverfahren zum Nichtsein. Ein Computer hat eine materielle (Gehäuse, Laufwerk,…) und eine nicht-materielle (Software) Komponente. Ohne Nichtsein (Wissen, Fähigkeiten, auch der Anwender) läßt sich ein Rechner nicht konstruieren, bauen und anwenden. Sein und Nichtsein erzeugen einander. Fällt das eine aus, fällt auch das andere aus. Das Wissen und die Werkzeuge, die MBAs erwerben (Röpke, Xia und auch ich können dies als Ökonomen beurteilen…), sind (vielleicht und eingeschränkt) wirksam, wenn ein Unternehmen bereits am Markt etabliert ist: die Welt des Seins. Nachhaltigen Erfolg garantiert dies nicht. Wenn das Management abhebt, den Erfolg des Unternehmens auf sich selbst zurückführt (nicht auf Zufälle, die Umstände, Gott, usw.), ist das Ende trotz MBAs und McKinsey unaufhaltsam (Sheth & Sisodia, 2005).
Persönlichkeit bringt die Unternehmung ins Leben (Schumpeter), hält sie am Leben, bewirkt ihren Tod (Daoismus). Der Daoist setzt daher nicht auf “Vernunft” und “Verstand”; er setzt, im Einklang mit Schumpeter und der modernen Psychologie (Martens & Kuhl, 2005) auf Persönlichkeit. Nach Schumpeter sind Neukombinationen (Innovationen) zunächsts nicht Materielles, sie sind zunächst überhaupt nichts. “Ihr Vorhandensein im Bewußtsein einiger Leute ändert nichts am Gange der Wirtschaft. Aber das ändert sich, sobald eine solche neue Kombination von einem Manne unseres energetischen Typus (Unternehmer) aufgegriffen wird. Von dem Momente an, nämlich, von dem unser Mann ihre Realisierung ernstlich ins Auge faßt, beginnt ihr Vorhandensein sich in sehr realer Weise fühlbar zu machen. Auf die vorhanden Güter wirkt sie nicht sofort, wohl aber auf deren Werte und durch diese auf die Preise. Unser Mann wird seine Wertschätzungen für viele Güter ändern; er wird sowohl seine eigenen anders werten, wie auch Güter anderer Leute min anderen Augen ansehen. ”Wissen (Nichtsein) wird erst dann und dadurch wirtschaftlich wertvoll, daß es in Neuerungen Eingang findet oder potentiell finden kann. Können wir Nichtsein mit Sein erzeugen oder Sein durch Nichtsein substituieren? Laotse sagt: Vergiss es - sie bringen einander hervor. Ursache und Wirkung im klassischen Sinne gibt es nicht. Eine zirkuläre Sichtweise rückt vom Prinzip von Ursache und Wirkung ab. Unter systemischen Gesichtspunkten ist die Frage nach der Ursache aufgelöst in Beziehungen struktureller Kopplung zwischen Umgebung und dem selbst gesteuerten System. Es sind immer eine Vielzahl von Wirkungen zu beobachten, ohne dass auszumachen ist, was Ursache und Wirkung ist. Komplexität triumphiert. Ko-Innovation und Ko-Evolution ersetzen Ursache und Wirkung. Die Bewertung eines Verhaltens als Ursache oder als Wirkung stellt eine willkürliche Reduktion von Komplexität dar. Heinz von Förster sagt daher: Komplexe Systeme sind analytisch nicht erklärbar. Sein und Nichtsein erzeugen einander.
Dadurch, dass materielle Ressourcen (Sein) und Persönlichkeiten, Fähigkeiten des Unternehmers durch unternehmerische Energie (qi) eine neue Harmonie zwischen Sein und Nichtsein erzeugen, steigt das Wertschöpfungspotential. Innovative Unternehmer können mit gegebenen Ressourcen wesentlich mehr zur Entwicklung beitragen als Unternehmer im Routinemodus. Nehmen Routineunternehmer die Ressourcen in die Hand, kommt nichts Neues heraus. Sie rufen daher auch immer nach mehr Ressourcen, um mehr erzeugen zu können, z.B. Studierende mit Abschluß. Die Folge ist, dass das System veraltet. Mit 1000 EUR an Ressourcen kann man 1 EUR verdienen, aber auch 100 oder 1000 EUR. Warum können unterschiedliche Leute mit dem gleichen Geld (dem gleichen Sein) unterschiedliche Gewinne erzielen? Der Hauptgrund liegt darin, dass sie über unterschiedliche unternehmerische Fähigkeiten (Nichtsein) verfügen. Durch Neukombination gespeiste Entwicklung auf der Ebene eines Individuums, einer Organisation oder Volkswirtschaft entspricht einem “daoistischen” oder “zen-buddhistischen” Umgang mit Ressourcen: Die Pflicht eines Zen-Kochs sei das köstliche Mahl aus den vorhandenen Zutaten zu bereiten, auch wenn er nur über Reis und Wasser verfügt. Der wahre Zen-Koch benutze was vorhanden ist, statt sich darüber zu beklagen, was er alles nicht hat (Glassman und Fields, 1997). Die Theorie der Autopoiesis (Maturana, Varela, Luhmann) spricht im gleichen Sinn von “input-losen” Systemen. Es ist offenkundig, dass der input-lose Koch (Unternehmer), der aus den vorhandenen Ressourcen etwas Neues hervorbringt, einer anderen Kompetenz bedarf als der inputstimulierte Koch, der vorhandene Menus in größerer Menge reproduziert. Routine-Unternehmer (Manager/Verwalter) können nur das aus Ressourcen machen, was sie schon immer gemacht haben. Er wiederholt die Kombination von Sein (materiellen Ressourcen) und bekanntem Nichtsein (bekannte Verfahren, bekannte Fähigkeiten, etc.). Die theoretische Logik, über Lohnkostensenkung oder Flexibilisierung der Arbeitsmärkte Arbeit zu schaffen, ist jedoch eine entwicklungslose. Sie ist sozusagen steinzeitökonomisch. Jedes System hat alles an Ressourcen in sich, um Entwicklung zu erzeugen. Ohne unternehmerische Energie funktioniert Neukombination jedoch nicht. Nach Guy Kawasaki entsteht eine solche Energie durch die Begeisterung für die Neukombination. Der erfolgreiche Antrieb ist nicht, damit viel Geld zu verdienen. Geld zu verdienen ist das, was zwar hinterher dabei rauskommen sollte, wenn man alles richtig gemacht hat, es ist jedoch der falsche unternehmerische Antrieb. Die Schumpeterische Abkehr von der Inputlogik (mehr Output durch mehr Input) zu Ohne-Input-Systemen (Entwicklungslogik) findet Entsprechungen in der Philosophie des Zen-Buddhismus und Daoismus, wie in jüngeren westlichen Ansätzen von Systemforschung und Psychologie. Alles wird im System erzeugt (Selbstevolution).
Nichtsein und Sein und ihre wechselseitigen Beziehungen, sind auch das, was man bei Investitionen oder Innovationsfinanzierung berücksichtigen muß. Warum gibt es mit jedem Prognosemodell und Geschäftsplan Probleme? Man ist beinahe versucht zu sagen: genau das ist der Grund, warum Financiers Geschäftspläne verlangen. Sie dienen der Selektion der Kapitalsuchenden. Auch die Finanziers verfügen über keine besseren Informationen, i.d.R. ist das Gegenteil der Fall. Sie können jedoch immer, aufgrund der Komplexität und Unsicherheit, Gründe finden, ein Geschäftsmodell nicht zu finanzieren. Der Geschäftsplan und die Erstellung vergleichbarer Dokumente (strategische Planung) sind kognitive (eindimensionale) Antworten auf ein multidimensionales Problem, welches zunächst in der Welt des Nichtseins verankert ist. Wer hier nicht einsteigen will/kann/darf (der Finanzier, ob Venture Capitalist oder Bank; die bestehende Unternehmung; der Routineunternehmer usw.), muß sich mit Dokumenten und Strategien des Seins begnügen, kann deswegen das Entstehen und Werden des Neuen nur unvollkommen leisten. Geschäftspläne sind vergleichbar der Organisation einer Hochzeitsfeier. Welchen Einfluß hat ihr Gelingen auf den Bestand und Erfolg der Ehe? So lassen sich die Fähigkeiten der Unternehmer nicht mit Zahlen darstellen und analysieren. Egal wie schön ein Geschäftsplan aussieht, wenn die Personen, die für die Umsetzung dieses Geschäftsplans verantwortlich sind, nicht in der Lage sind (insbesondere, weil es ihnen an unternehmerischer Energie fehlt), diesen Geschäftsplan zum Erfolg zu bringen, bringt dieser schöne Geschäftsplan in einer von Unsicherheit geprägten Umwelt nur Verluste ein. Wer nur auf Zahlen und das, was sie abbilden (das Sein) schaut und nicht auf das, was dahinter steht (das Nichtsein, das was das unternehmerische Werden, die Entstehung neuen Angebots und neuer Nachfrage bewirkt), den schützen auch das Befolgen hochentwickelter Prüfungsstandards und eine ausgefeilte Geschäfts-/Strategieplanmethodik nicht vor dem Reinfall. Wenn wir in eine Firma investieren, haben wir das Nichts dieser Firma zu be(ob)achten: die Zukunft der Branche/der Firma, die Unternehmenskultur, die Fähigkeiten des Managementteams, die “Vision” - das Unwort des Controllers. Die Vision ähnelt der causa finalis von Aristoteles: Die Ursache liegt in der Zukunft, die Handlung in der Gegenwart. Der Unternehmer geht in die Zukunft, um in der Gegenwart so handeln zu lernen, damit seine Vision sich verwirklicht. Mit dem Lernen verändert sich die Vision. Sie ist ein Produkt der Selbstevolution des Unternehmers. Das Sein wirkt auf das Nichtsein zurück. Da auch Vision und Kompetenzentfaltung sich verknüpfen (lassen), ist Vision kein Zustand, sondern selbst ein evolutionärer Prozeß - Kompetenz entfaltend und durch Fähigkeiten getragen. Die Zahlen, Prognosen, Kalkulationen, die cash-flows, sind nicht das Nichts, es sind Versuche, das Nichts in das Sein zu transformieren - und auf diesem Weg das Nichtsein zu vergessen. Wer das wu (Nichtsein) nicht akzeptieren kann oder will, ist zu you (Sein) verdammt, welches ein Nichtsein (das noch nicht Existierende, das Neue, die neue Welle, die Basisinnovation) nicht kennt. Er lebt, das System lebt, ohne das Werden. Das System evoluiert nicht mehr. Das System lebt, um zu sterben. Im Durchschnitt ist für ein Unternehmen das Leben nach weniger als zwei Jahrzehnten zu Ende (Röpke, 2002). Die “schöpferische Zerstörung” hat es in den Tod geschickt. Die Wellen seiner Innovation haben ihre Energie eingebüßt und plätschern am Ufer aus: Urlaubsparadies für unternehmerische Greise, Playground für Innovationsberater, Liegestühle für Konzeptentwickler von Innovationsinitiativen, Strandkörbe für die politische Klasse. Neukombinationen beginnen im Nichtsein. Die ersten Telefone waren Lachnummern. Das erste deutsche Telefonbuch aus dem Jahr 1881 galt als ein “Buch der 99 Narren”. Heute werden in Deutschland jährlich 30 Millionen Telefonbücher gedruckt. Jede radikale Neuerung hat eine Akzeptanzwahrscheinlichkeit von nahe null. Jede Basisinnovation läuft auf Widerstand. Von der Dampfmaschine bis zur Nanotechnologie. Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem ersten Schritt (Laotse).Plane Schwieriges im Ausgang von dem, was daran leicht ist. Bewirke Großes von dem aus, was daran winzig ist. Alle schwierigen Unternehmungen müssen vom Leichten aus gemacht werden. Alle großen Unternehmungen müssen vom Winzigen aus gemacht werden (Laotse). Ein Baum, den man mit beiden Armen umfaßt, wächst aus etwas, nicht größer als die Spitze eines Haares. Innovative Unternehmer verfügen zunächst über das Nichts (oder wie Schumpeter sagt: ihre “Persönlichkeit”). Aus solchem Nichts entstehen später, das Sein, der Produktzyklus, die lange Welle, die Basisinnovation, die Entwicklung, Arbeitsplätze und Wohlstand. Es beginnt im Nichts. Ohne Nichts kein Sein.
Warum und wie halten die Unternehmen an ihrem Sein und ihrem vorhandenen Nichtsein fest, ziehen den Tod ihres Unternehmens, ihrer unternehmerischen Funktion, ihres Marktes einer Rückkehr ins Nichtsein vor? Und dies ist Normalität, das Auskosten des Seins bis zum bitteren Ende: Konkursrichter, feindliche Übernahmen, Ausverkauf, Sprung aus der Chefetage. Eine Antwort hat sehr früh (1911) Schumpeter gegeben. Peter Drucker, Clayton Christensen und andere, geben heute die gleiche. Die bestehenden Unternehmen schaffen es nicht. Sie halten am Bestehenden fest. Sie können nicht loslassen (von Ausnahmen, wie Apple mal abgesehen, die sich als Unternehmen neu erfunden haben und sich von einem Computer-Hersteller zu einem Medienunternehmen entwickeln). Sie können nicht loslassen, nicht ihr Sein hinter sich lassen, ins Nichtsein zurückkehren, Festhalten, bis das Festgehaltene nicht mehr existiert. Banken finanzieren erst, wenn das Nichtsein ins Sein transformiert ist: Weise mir nach, daß Dein Patent in der Praxis des Produktionsprozesses auch funktioniert. Irgendwann ist der Produktzyklus Vergangenheit, Futter für Konkursrichter und Kompost für Historiker.
“Loslassen” ist ein uraltes Thema in den östlichen Weisheitstraditionen. Diese Thematik hält nunmehr auch Einzug in das Innovationsmanagement, das Management von Neukombinationen in bestehenden Unternehmen. Schumpeter sagt: Nur neue Unternehmen vermögen Nichtsein mit Sein zu verbinden. Das StartUp ist Träger der Innovationsfunktion und der Schöpfer von “Zukunftswerten”. Wir wissen heute: eine Übertreibung. Bestehende Unternehmen sind gut, sogar besser, wenn es gilt, inkrementelle (marginale oder erhaltende) Neuerungen hervorzubringen. Dies sind Innovationen, die auf einem laufenden, basisinnovativen, Produktzyklus aufgesetzt sind (die neue Maus, der neue Golf VIII oder das neue Handy). Jede neue Innovationswelle beginnt mit neuen Unternehmen. Peter Drucker bestätigt diese Sicht mit eindrucksvollen Beispielen (Siemens, IBM, usf.). Er sagt allerdings auch: das muß nicht so sein oder bleiben. Drucker bringt Argumente an, ähnlich denen des späten Schumpeter und neueren Überlegungen aus der Theorie des Managements von Neuerungen, daß bestehende Unternehmen komparative Vorteile im Neuerungsgeschäft aufgrund ihrer höheren Finanzkraft und besseren Ausstattung mit Humankapital verfügen. Die Frage also: Haben bestehende oder neue Unternehmen komparative Vorteile oder “Kernkompetenzen” bei der Schaffung von Zukunftswerten? Beide müssen im wu (Nichtsein) beginnen, um im you (Sein) neue Werte zu schaffen.
Laotse zeigt die Bewegung aller Dinge auf der Welt: Sie kehren am Ende ihres Lebens zu ihrem Ursprünglichen zurück. Eine Innovation fängt mit dem wu (Nichtsein) an. Das you (Sein), das im Laufe des Innovationszyklus auftritt, kehrt am Ende des Zyklus zum wu (Nichtsein) zurück. Das Nichtsein im Sinne von Laotse ist immer ein Nichtsein in der Verbindung mit dem Sein. Sein und Nichtsein erzeugen einander. Zerstören wir das Sein, leider das Nichtsein. Verhindern wir das Nichtsein, kann ein Sein nicht entstehen. Das Nichtsein fördern, heißt das Sein zu erzeugen.
Einer der Unterschiede zwischen dem daoistisch-innovativen Unternehmer und den anderen Unternehmern liegt darin, daß die daoistisch-innovativen Unternehmer über de, eine Wirkkraft bzw. Tugend verfügen, um aus dem Nichts ein Sein zu erzeugen. De erlaubt die Schaffung von Sein aus dem Nichts und sie gestattet das Nicht-Festhalten am Sein und damit das Nicht-Verlieren. Insofern liefert der Daoismus eine Antwort auf die Frage: Wie kann eine Unternehmung, eine Industrie, eine Wirtschaft ohne Sein wachsen? Die Antwort ist: Sie kann es nicht. Die Antwort ist aber auch: Mit Sein alleine wächst sie vielleicht, aber sie wächst ohne Entwicklung. Sein-Logik heißt: Die Wirtschaft benötigt Ressourcen, Produktionsfaktoren, um einen Output zu erzeugen; und wenn sie noch mehr Output erzeugen, also wachsen will, benötigt sie noch mehr Ressourcen: Inputwachstum erzeugt Outputwachstum (Manager-(MBA-) gesteuerte Routine- oder Arbitragewirtschaft). Die Wirtschaft macht sich ressourcenabhängig, wird damit durch Ressourcen erpressbar. Die vorherrschende Sichtweise in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft. Manche sagen auch: “Ein Planet wird geplündert”, damit wir mehr Wachstum erzeugen können. Diese Inputlogik schließt Grenzen des Wachstums notwendig ein. Ein Sein ohne Nichtsein. Man handelt, wenn etwas bereits vorhanden ist. Gegenwartswerte. Ressourcen, Regenwald, saubere Luft, Arbeitskräfte, Property rights, Patente, wissenschaftliche “papers”, usw. Das Bekannte (Ressourcen) ist das, was das Sein (Wachstum, Wohlstand) hervorbringt. Die Entwicklungs- und Evolutionswirtschaft erzeugt Ressourcen, ohne sich ihnen auszuliefern. Sie lebt von Neuem und von neuer Tiefe. Beides ist uneingeschränkt verfügbar.

[1]Barry Eichengreen, Financial Times Deutschland, 28. Juli 2009.

Europäische Union
Die Rolle Deutschlands und ein Leben in der Hölle
23. Juli 2009

Animesh Ghoshal schreibt in einem Leserbrief an die Financial Times vom 23. Juli 2009
Sir, While I cannot comment on the suitability of Tony Blair for the position of president of the European Council (“Blair and Barroso: Europe’s team from hell”, July 20), Wolfgang Münchau hardly does justice to the 1980s joke about a European hell.
According to my less politically correct European friends, in heaven the cooks were French, the policemen English (yes, English police did have that reputation), the lovers Italian, and everything was organised by the Germans.
In hell, the cooks were English, the policemen French, the lovers German and everything was organised by the Italians.

Financial Times

Ein Kommentar müßte das politically correct einem Evolutionsschub unterwerfen: Wie sieht es im EU-Nirwana aus?
Dürfen wir seine Heiligkeit, den Dalai Lama, um Auskunft bitten, da er gerade, an der Universität des Autors, einer Ehrendoktorwürde zuteil wurde – für seine „wissenschaftliche Leistung“.
Das Japan Paradox

Kazue Haga & Jochen Röpke

2. Juli 2009


The Economist, 25. Juni 2009, A world of methuselahs.

Die Gesundheitsökonomen haben sicherlich eine Erklärung für obige Tabelle. Wir suchen eine. Japan hat die längste Lebenserwartung (82.4 Jahre) und gibt am wenigsten Geld für Gesundheit aus (etwas mehr als 8 Prozent des BSP). In Deutschland sprechen nahezu alle Stakeholder im System Gesundheit - außer dem zuständigen Ministerium – über die Rationierung gesundheitlicher Leistungen.
Wie ist möglich, was sich in Japan abspielt?
Gene? Traditionelle chinesische Medizin oder die japanische Version Kampo? Reishi? Lebensstil? Statistische Tricks und Ungenauigkeiten? Nahezu Nullimmigration („Wir sind kein Immigrations/Integrationsland“)? Lange Lebensarbeitszeit (70 Jahre für Männer) einschließlich der höchsten Gründungsrate von Unternehmen durch alte Menschen? Organisation des medizinischen Sektors? Etc. Etc.

Wenn wir der Evolutionsökonomie folgen, bietet die (neoklassische oder Mainstream-) Gesundheitsökonomie kaum Erklärung für Obiges (Hodgson, 2008).
Wir haben unsere eigene vorläufige Erklärung, die jedoch durch Property Rights geschützt ist (laufendes Forschungsvorhaben).
In loser Folge gehen wir in späteren Beiträgen auf Beiträge des Special Report von The Economist ein.


[1]Hodgson, Geoffrey M. (2007): An institutional and evolutionary perspective on the health economics, in: Cambridge Journal of Economics, 2008, 32, S. 235-256.
Zweiter Kondratieff und evolutorische Güter

Eine Fallstudie aus Japan

Ein Kondratieff ist keine Glaubenssache. Er folgt theoretischen Konstruktionen. Empirie mag dazu passen oder nicht. Was auch wieder konstruiert ist, vom empirischen Forscher und denen, die sich seine Forschung anschauen. Auch wenn sie empirisch manchen nicht überzeugt, bleibt die Theorie, und das Praktischste was es gibt, ist eine gute Theorie (I. Kant).


Wir wollen uns heute mit dem „2. Kondratieff“ oder der zweiten „Langen Welle“ beschäftigen, beides von Joseph Schumpeter in seinem Buch „Konjunkturzyklen“ (1962, neu aufgelegt 2008) ausführlich beschrieben. Die zweite Lange Welle ist eigentlich längst gelaufen (Abbildung). Selbstverständlich gibt es noch Eisenbahnen und Stahlindustrie. Ihre wirtschaftliche Dynamik in den reifen Industrieländern ist jedoch bescheiden. Verluste an Nettoarbeitsplätzen sind die Norm.


The Economist, Reap what you sow, China’s capital spending …
18. Juni 2009.

In Ländern mit nachholender Industrie sieht es anders aus. In China und Indien beobachten wir einen mehr als Jahrzehnte anhaltenden Boom im zweiten Kondratieff. „As a developing country, China still lacks decent infrastructure; railways, in particular, have long been an economic bottleneck.” (The Economist, Reap what you sow). Das sind Multikondratieffländer. Sie verwirklichen fast gleichzeitig mehrere Lange Wellen. Die Kondratieffs überlappen sich zeitlich. Sie füttern sich gegenseitig. China steckt in wenigen Jahren die gesamte deutsche Industrie auch technologisch in die Tasche. Nach vorne weg laufen können wir nicht, weil zu viele Instanzen, Gesetze, ethische Vorbehalte, das Laufen der Innovatoren behindern. Wenn China die USA überholen (siehe Abbildung), folgt das zwangsläufig aus der Logik des Multikondratieff. Die Investitionen Chinas in die Eisenbahn sind gigantisch.
Sehen wir uns an, was Japan mit dem zweiten Kondratieff macht. Die Japaner haben IC-vergleichbare Züge bereits vor Jahrzehnten auf die Schiene gebracht. Die Wertschöpfung war groß. Mit der Zuwanderung vieler Leute in die Städte aufgrund der Industrialisierung wurden Bahngesellschaften an die Stadtentwicklung gekoppelt. Der Boom ist längst gelaufen. Wie wächst die Deutsche Bahn? Zukäufe. „Das Zugpferd des Konzerns, DB Schenker Rail, soll gesund gespart werden - auf Kosten der Bahnindustrie.“[1] Kondratieff 2.
Womit und wie Geld verdienen und neue Werte schaffen, wenn die Wachstumsdynamik in alten Industrien ausgereizt ist?
Eine Fallstudie aus Japan.


Die Bahn Yōrō tetsudō lockt Reisende in Scharen. Mit dem, was wir unten in der Abbildung sehen. Nicht nur Essen. Essen, das gesund macht. Im Zug fahren, und gesünder aussteigen, als man einsteigt. Der ehemalige Toyota-Chef Watanabe, hat solches in seiner Vision bereits für Toyota entwickelt. Der Pkw als Gesundmacher. Auch der vierte Kondratieff (Automobil) geht in die Knie – was Schumpeterianer seit langem vorhersagen und die Daten seit mehr als einem Jahrzehnt belegen. Der Mainstream steigt ein.[2] Watanabe hat visioniert, was die Eisenbahngesellschaft praktiziert.
Die japanische Eisenbahnlinie Yōrō tetsudō setzt um. Die Züge mit Gesundheitsgütern sind voll. Yakuzen (jap.) sind Gerichte auf Basis der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), yin-yang-harmonisiert.


Nicht „Mobilität“ zählt – der Markt stagniert. Die Bahn setzt auf „Evolutionsgüter“[3] . Güter dienen der Entfaltung von Fähigkeiten, der Selbstveränderung, der Eigenevolution. Gesundheitsgüter sind eine Klasse davon. Der Reisende in der DB: Gerüche von Fast Food und Handylärm als Stresserzeuger.

Die Eisenbahn, Treiber des zweiten Kondratieff, dient als Bote eines neuen (sechsten) Kondratieff, der vom Gesundheitsbewußtsein der Menschen lebt. Neue Güter in einem neuen Angebotsraum beleben alte Lange Wellen. Theoretisch: Inter-Kondratieff-Kopplungen. Das neue Gut – gesundes Essen auf der Grundlage der TCM – fragt „Mobilität“ nach und animiert zugleich die Produzenten von gesundem Essen und deren Vorlieferanten. Es sind jedoch Innovationen, die diesen Prozeß vorantreiben. Nicht Wissen. TCM ist zwei Jahrtausende alt. Die Eisenbahn über 150 Jahre. Sie laufen nebeneinander her, bis ein Innovator sie in einem neuen Produkt integriert. Im neuen Kondratieff (in obiger Zählung der sechste), harmonisieren Innovation mit Evolution. Entwicklungspessimismus (siehe nachfolgendes Zitat) ist theoretisch unbegründet.

„Nennenswertes Wirtschaftswachstum in früh industrialisierten Nationen, deren Konsum längst gesättigt ist und die ihren demographischen Höhepunkt hinter sich haben, ist kaum noch vorstellbar.“ (Reiner Klingholz[4] ).

Wir sehen es anders. Auch Evolutionsgüter schaffen neue Werte. Daß Solches in Japan vorankommt, ist nicht überraschend. Japaner sind chronologisch alt und biologisch jung. Sie schätzen eine gesunde Ausweitung ihrer Lebensspanne. Das Gesundheitsbewußtsein ist im Alltag ausgeprägt. Man vergleiche Tokio mit London oder New York[5]. Yakuzen-Restaurants haben gute Resonanz. Ein Wachstumsmarkt wie hierzulande Döner-Buden („Wir sind ein Integrationsland“).
Es kostet auch nicht viel, Gesundheit im Zug zu bezahlen. 5000 Yen. Von Masami san serviert.


„Freude mit dem Yakuzen-Mittagessen bei Yōrō tetsudō“.
„Yakuzen Ressha“ fährt los!“
Preise: Erwachsene: 5000 Yen, Kinder: 4500 Yen. Spezial-Menü „Yōrō Yakuzen“ (mit Nachtisch. Tageskarte für die Yōrō-Linie.


Yororailway

[1]Leo Klamm, Lieferanten sollen für DB Schenker bluten, Financial Times Deutschland, 29.6. 2009.
[2]Über eine Studie berichtet: Benjamin Bidder, Experten warnen vor Absturz der Autoindustrie, Spiegel Online, 2. Juli 2009.Die im Artikel genannten Gründe überzeugen nicht. Das Schumpeter-Kondratieff-Problem wird nicht gesehen. Eine neue Illusion baut sich auf.
[3]Jochen Röpke & Ying Xia, Reisen in die Zukunft kapitalistischer Systeme, 2007, S. 310-323.
[4]Herr Minister, wir schrumpfen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Juni 2009, S. 31
[5]Omar Sayed, Liveability: it’s not just about weather, Letters, Financial Times, 27. Juni 2009, S. 6.
Hundun – ein Evolutionstest

29.6. 2009

Kazue Haga & Jochen Röpke

Der Herrscher des Südmeeres war Hu [Jäh, Blitzschnell, Hastewas], der des Nordmeeres war Shu [Kannste]und der der Mitte war Hundun (Dauernde Schöpfung, Ungestalt). Hu und Shu trafen sich von Zeit zu Zeit auf dem Gebiet von Hundun, und stets behandelte sie Hundun mit der größten Freundlichkeit. Da berieten Hu und Shu, wie sie die Güte von Hundun vergelten könnten. Sie sprachen: "Jeder Mensch hat sieben Öffnungen, nur Hundun hat keine. Wir wollen ihm mal welche meißeln [bohren]!" Jeden Tag meißelten sie eine Öffnung. Am siebten Tag war Hundun tot.
(Zhuangzi, Antworten für Kaiser und Könige, 7; in: Günter Wohlfart, Zhuangzi, Auswahl, Einleitung und Anmerkungen, Stuttgart: Reclam, S. 114; Zhuangzi, 1998, Krügerverlag, S. 139)


Zhuangzi ist ein chinesischer Philosoph und Poet. Er lebte vor über 2000 Jahren. Kann uns eine solche Geschichte etwas lehren? Können wir etwas lernen?
Es gibt mehrere Interpretationen. Wir machen unsere eigene, ohne die anderen zu negieren.
Die Übersetzung von Hundun ist in der Regel „Chaos“. Hu und Shu als Chaosvernichter. Was meint Chaos hier? Chaos ist für Westmenschen ein eher negativ besetzter Begriff. In Japan verwendet man dafür gleichfalls Chaos (カオス). Parallel existiert auch das Wort Hundun (混沌, japanische Aussprache: konton) von Zhuangzi.

Im Chinesischen finden wir eine Verdoppelung des Schriftzeichens für Hundun 混沌 混沌. Die chinesischen Schriftzeichen für hun und dun enthalten beide den Radikal für „Wasser“. „Die hundun Ur-Suppe … sind ein gute Bild der chinesischen Vorstellung vom Chaos als einem turbulenten, sich dauernd von selbst erneuerndem Durcheinander“ (Wohlfart, S. 169f., unsere Hervorhebung). Hundun ein autopoietisches System? Chaos im Chinesischen hat auch die Bedeutung „unschuldig wie ein Kind“ was sich mit der Logik von Hundun überschneidet. Ein Kind ist im Daoismus das noch Neue, Angstfreie, Spontan- Handelnde, das Kreative und Nichtkalkulierende, das Freiseiende von Hedonismus, das Unternehmerische, der Beginn des Lebenszyklus.

Diese Sichtweisen erlauben uns Hundun evolutorisch zu interpretieren (Siehe auch die Anmerkungen von Günter Wohlfart in Zhuangzi. Auswahl., S. 169-171.) Chaos ist tragfähig, wenn man es als Turbulenz in einem sich selbst erneuernden, selbst-organisierenden System versteht. Hu, triggerhappy und der sich alles zutrauende, wissensarrogante Shu, sie wissen, wie man in Systeme interveniert, sie wollen es und sie machen es. Chinesisch-daoitsich wang wei, im Gegensatz zu wuwei (Nichttun/Nichthandeln). Sie wollen seine Funktion verbessern, auf Vordermann bringen, es zukunftsfähig macht, Exzellenz in sie einbauen, Evolution anschieben. Ergebnis: Ein System ohne Hundun-Charakter, ohne „Chaos“, ohne Turbulenz, ohne Leben, kindlos, evolutionstot. Sie mögen auch es gut meinen. Gutmenschen also. Was sie anrichten, die unbeabsichtigten Folgen ihrer Intervention, bewirken das Gegenteil.


Quelle: The Economist, 25. Juni, 2009.

In unserer modernen Gesellschaft sind die Hus und Shus allgegenwärtig, leicht auszumachen in Politik, Religion, Recht & Ethik, Wissenschaft, in Unternehmen ohnehin. Eingreifer und Gesichtswahrer, narzistische Egomaximierer, von Macht getrieben, zerstören sie die für Entwicklung erforderliche Turbulenz, die jede Frühphase des Neuen, eines Produkt- und Lebenszyklus charakterisiert, die dauernde Transformation. Keine Toleranz für das Nicht-Errechenbare, für echte Unsicherheit. Zu Tode regulieren. Meister der „Planungssicherheit“. Der MBA lernt das Jonglieren mit Zahlen. Die Bolognaner wissen was zu tun ist – die Hunduns („Kinder“) ihre Opfer. Turbulenz und Redundanz und Vielfalt müssen weg. Erhöhen wir doch die Steuern in der Krise. Wozu? Schulden abbauen. In einer Wirtschaft, die nicht mehr wächst.
Was raus kommt aus all diesem geschäftigen Tun: Quasi-tote Systeme ohne Entwicklungskraft und Evolutionsvermögen. „Am siebten Tag war GM tot.“ Tod der Zukunft durch die Gegenwart. Negative Evolution.
Für alle Systeme gilt die Hundunlogik. Die Entfaltung ihrer schöpferischen Kraft wird ausgebremst und ausgebohrt und ausgetrickst. „Im Anfang war die Tat“ (Faust) – des Nicht-Tuns.