Freitag, 3. September 2010

Sarazin und das Mittelalter

Bemerkeinswerte „Diskurse“ zum Sarazynimus. Sie reflektieren die Evolutionsstufe der deutschen Gesellschaft. Es ist zu hoffen, daß der Weise vom Starnberger See bald interveniert und uns „Gründe“ auf den Tisch legt. Frank Schirrmacher wirft Herrn S. Fehldeutungen der genetischen Intelligenzforschung vor, Autoren anführend, die wiederum widerlegt sind. S. hat „Recht damit, dass eine verfehlte Einwanderungpolitik Deutschland gleichsam ein Mittelalter importierte, das die Stabilität des Gemeinwesens in Frage stellen kann - unso mehr, als Politik zunehmend unfähig ist, das Problem zu adressieren.“[1] Wenn es eines Belegs für die konstruktivistischen Thesen von Maturana, Luhmann, von Foerster, bedarft hätte, nun haben wir ihn. Was sich abspielt, ist Mittelalter, evolutionsdynamisch betrachtet. Wir wissen, wie man damals mit „Ketzern“ , in Spanien, umging. Luther kam noch gut weg. Religion. In die Strukturen des Politiksystems integriert. Die Reaktionen vorhersehbar wie Ebbe und Flut. Religion ist auch ein oder das Thema bei S. Ganz schlimm für die Staatsräson, daß er auch noch die Juden ins Spiel bringt.
Theoretisch ist die Logik von S. (sein Buch kenne ich nicht, nur Interpretationen davon in der Presse) nicht ohne Widerspruch. Genetik? Religion? Bildung? Sozialstaatsarbitrage? Memetische E volutionsstufen? Das ließe sich alles in ein konsistentes Denken und daraus folgende Politikentwürfe integrieren. Die Politik und die Medien folgen jedoch ihren eigenen Gesetzen. Die Reaktionen auf die Irrationen von S. informieren uns über den Entwicklungsstand der Gesellschaft. Zumindest dafür müssten wir S. danken.

In Deutschland meidet die Wissenschaft die Aufarbeitung dieser Fragen. Zu Recht. Niemand beisst die Hand, die ihn füttert. In den USA wird in extremer Offenheit über vergleichbare Problemlagen diskutiert. Auch Schirrmacher hätte recherchieren können, hätte Blogs, Bücher und Artikel entdeckt, die erläutern, was aus historischen und „staaträsonalen“ und ich-optimierenden Gründen bei uns unmöglich ist. Zum Leidwesen der Betroffenen, denen sich S. Annimmt. Wir nennen die US-Links nicht, weil nach deutscher Rechtsprechung hamburger Ursprungs - das Justizministerium schaut zu - der Linksetzer für die Inhalte der Links mitverantwortlich ist.

Als Ökonom, damit Kollege des Volkswirts Sarazin, ließe sich viel sagen. Die eigenen Quellen dazu sind unwichtig. Als Hinweis mag genügen: genetische Komponenten unternehmerischen Handelns - S. meint, die Zugewanderten, wenn sie nicht arbeitslos sind, kämen unternehmerisch über einfachste Wertschöpfung (Handel etc.) nicht hinaus - sind längst enttabuisiert und Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.[2] Auch hier aus der intra-„rassistischen“ Sicht interessante Fragen, wie: superinnovatives Unternehmertum in der Türkei, warum nicht bei uns?

Mein Rat an Herrn S.: Mach es wie der Bambus (oder die Pferde von Zhuangzi). Sitze den Sturm aus, flach auf dem Boden. Daoistisch wu wei. Information für und gegen die Thesen häufen sich auf ohne eigenes Zutun.

Die „Diskurse“ produzieren Belege en masse. Das haben selbstorganisierende Systeme nun mal in sich. Die Frage ist nur, was davon im Sinne von Popper falsifizierende Kraft besitzt , und mehr davon als der Topstürmer, der sich nach Spanien auf den Weg gemacht hat.



Das Leben aller Dinge
eilt dahin wie ein galoppierendes Pferd –
jede Bewegung bringt Verwandlung mit sich,
sie ändern sich von Augenblick zu Augenblick.
Was sollst du tun?
Was sollst du lassen?
Laß einfach alle Dinge sich von selbst entwickeln.
Zhuangzi

1. Frank Schirrmacher, Ein fataler Irrweg, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, August 2010, S. 21.
2. Siehe die Beiträge in Stanton, Day & Welpe, Hrsg., Neuroeconomics of the firm, Edward Elgar, 2010.