Donnerstag, 6. August 2009

Zweiter Kondratieff und evolutorische Güter

Eine Fallstudie aus Japan

Ein Kondratieff ist keine Glaubenssache. Er folgt theoretischen Konstruktionen. Empirie mag dazu passen oder nicht. Was auch wieder konstruiert ist, vom empirischen Forscher und denen, die sich seine Forschung anschauen. Auch wenn sie empirisch manchen nicht überzeugt, bleibt die Theorie, und das Praktischste was es gibt, ist eine gute Theorie (I. Kant).


Wir wollen uns heute mit dem „2. Kondratieff“ oder der zweiten „Langen Welle“ beschäftigen, beides von Joseph Schumpeter in seinem Buch „Konjunkturzyklen“ (1962, neu aufgelegt 2008) ausführlich beschrieben. Die zweite Lange Welle ist eigentlich längst gelaufen (Abbildung). Selbstverständlich gibt es noch Eisenbahnen und Stahlindustrie. Ihre wirtschaftliche Dynamik in den reifen Industrieländern ist jedoch bescheiden. Verluste an Nettoarbeitsplätzen sind die Norm.


The Economist, Reap what you sow, China’s capital spending …
18. Juni 2009.

In Ländern mit nachholender Industrie sieht es anders aus. In China und Indien beobachten wir einen mehr als Jahrzehnte anhaltenden Boom im zweiten Kondratieff. „As a developing country, China still lacks decent infrastructure; railways, in particular, have long been an economic bottleneck.” (The Economist, Reap what you sow). Das sind Multikondratieffländer. Sie verwirklichen fast gleichzeitig mehrere Lange Wellen. Die Kondratieffs überlappen sich zeitlich. Sie füttern sich gegenseitig. China steckt in wenigen Jahren die gesamte deutsche Industrie auch technologisch in die Tasche. Nach vorne weg laufen können wir nicht, weil zu viele Instanzen, Gesetze, ethische Vorbehalte, das Laufen der Innovatoren behindern. Wenn China die USA überholen (siehe Abbildung), folgt das zwangsläufig aus der Logik des Multikondratieff. Die Investitionen Chinas in die Eisenbahn sind gigantisch.
Sehen wir uns an, was Japan mit dem zweiten Kondratieff macht. Die Japaner haben IC-vergleichbare Züge bereits vor Jahrzehnten auf die Schiene gebracht. Die Wertschöpfung war groß. Mit der Zuwanderung vieler Leute in die Städte aufgrund der Industrialisierung wurden Bahngesellschaften an die Stadtentwicklung gekoppelt. Der Boom ist längst gelaufen. Wie wächst die Deutsche Bahn? Zukäufe. „Das Zugpferd des Konzerns, DB Schenker Rail, soll gesund gespart werden - auf Kosten der Bahnindustrie.“[1] Kondratieff 2.
Womit und wie Geld verdienen und neue Werte schaffen, wenn die Wachstumsdynamik in alten Industrien ausgereizt ist?
Eine Fallstudie aus Japan.


Die Bahn Yōrō tetsudō lockt Reisende in Scharen. Mit dem, was wir unten in der Abbildung sehen. Nicht nur Essen. Essen, das gesund macht. Im Zug fahren, und gesünder aussteigen, als man einsteigt. Der ehemalige Toyota-Chef Watanabe, hat solches in seiner Vision bereits für Toyota entwickelt. Der Pkw als Gesundmacher. Auch der vierte Kondratieff (Automobil) geht in die Knie – was Schumpeterianer seit langem vorhersagen und die Daten seit mehr als einem Jahrzehnt belegen. Der Mainstream steigt ein.[2] Watanabe hat visioniert, was die Eisenbahngesellschaft praktiziert.
Die japanische Eisenbahnlinie Yōrō tetsudō setzt um. Die Züge mit Gesundheitsgütern sind voll. Yakuzen (jap.) sind Gerichte auf Basis der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), yin-yang-harmonisiert.


Nicht „Mobilität“ zählt – der Markt stagniert. Die Bahn setzt auf „Evolutionsgüter“[3] . Güter dienen der Entfaltung von Fähigkeiten, der Selbstveränderung, der Eigenevolution. Gesundheitsgüter sind eine Klasse davon. Der Reisende in der DB: Gerüche von Fast Food und Handylärm als Stresserzeuger.

Die Eisenbahn, Treiber des zweiten Kondratieff, dient als Bote eines neuen (sechsten) Kondratieff, der vom Gesundheitsbewußtsein der Menschen lebt. Neue Güter in einem neuen Angebotsraum beleben alte Lange Wellen. Theoretisch: Inter-Kondratieff-Kopplungen. Das neue Gut – gesundes Essen auf der Grundlage der TCM – fragt „Mobilität“ nach und animiert zugleich die Produzenten von gesundem Essen und deren Vorlieferanten. Es sind jedoch Innovationen, die diesen Prozeß vorantreiben. Nicht Wissen. TCM ist zwei Jahrtausende alt. Die Eisenbahn über 150 Jahre. Sie laufen nebeneinander her, bis ein Innovator sie in einem neuen Produkt integriert. Im neuen Kondratieff (in obiger Zählung der sechste), harmonisieren Innovation mit Evolution. Entwicklungspessimismus (siehe nachfolgendes Zitat) ist theoretisch unbegründet.

„Nennenswertes Wirtschaftswachstum in früh industrialisierten Nationen, deren Konsum längst gesättigt ist und die ihren demographischen Höhepunkt hinter sich haben, ist kaum noch vorstellbar.“ (Reiner Klingholz[4] ).

Wir sehen es anders. Auch Evolutionsgüter schaffen neue Werte. Daß Solches in Japan vorankommt, ist nicht überraschend. Japaner sind chronologisch alt und biologisch jung. Sie schätzen eine gesunde Ausweitung ihrer Lebensspanne. Das Gesundheitsbewußtsein ist im Alltag ausgeprägt. Man vergleiche Tokio mit London oder New York[5]. Yakuzen-Restaurants haben gute Resonanz. Ein Wachstumsmarkt wie hierzulande Döner-Buden („Wir sind ein Integrationsland“).
Es kostet auch nicht viel, Gesundheit im Zug zu bezahlen. 5000 Yen. Von Masami san serviert.


„Freude mit dem Yakuzen-Mittagessen bei Yōrō tetsudō“.
„Yakuzen Ressha“ fährt los!“
Preise: Erwachsene: 5000 Yen, Kinder: 4500 Yen. Spezial-Menü „Yōrō Yakuzen“ (mit Nachtisch. Tageskarte für die Yōrō-Linie.


Yororailway

[1]Leo Klamm, Lieferanten sollen für DB Schenker bluten, Financial Times Deutschland, 29.6. 2009.
[2]Über eine Studie berichtet: Benjamin Bidder, Experten warnen vor Absturz der Autoindustrie, Spiegel Online, 2. Juli 2009.Die im Artikel genannten Gründe überzeugen nicht. Das Schumpeter-Kondratieff-Problem wird nicht gesehen. Eine neue Illusion baut sich auf.
[3]Jochen Röpke & Ying Xia, Reisen in die Zukunft kapitalistischer Systeme, 2007, S. 310-323.
[4]Herr Minister, wir schrumpfen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Juni 2009, S. 31
[5]Omar Sayed, Liveability: it’s not just about weather, Letters, Financial Times, 27. Juni 2009, S. 6.

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