Montag, 22. Juni 2009

Neue Kombinationen

20. Juni 2009

Wir zitieren kommentarlos aus der ersten Auflage der Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, erschienen 1911, Neuauflage 2006. Ur-Schumpeter. Weitgehend unbekannt. Für die spracharmen angelsächsischen Ökonomen terra incognita. Auf Druck der Kollegen hat Schumpeter Theorieradikales in späteren Auflagen entfernt. Einiges haben wir gegen Ende zitiert. Den theoretischen Fortschritt seit 1911 betrachte ich als eher marginal – andere „Österreicher“ ausgenommen. Daher der Titel unseres Blogs: Neukombination. Er setzt einen Blog fort, den wir an anderer Stelle unterhalten haben.
Das Problem mit Schumpeter und anderen radikalen Denkern: Man muß sie für sich selbst re-konstruieren. (J.R.)

Joseph A. Schumpeter (1911)

Wie setzt sich das Neue in der Wirtschaft durch?(S. 162).

Die neuen Kombinationen sind zunächst nichts Materielles, sie sind zunächst überhaupt nichts. Ihr Vorhandensein im Bewußtsein einiger Leute ändert nichts an dem Gange der Wirtschaft und ist an sich, wie wir sahen, so bedeutungslos wie die Kanäle im Mars.
So ist also die Energie das ent¬scheidende Moment und nicht die “Einsicht" allein. Letztre ist viel häufiger, ohne daß sie zur einfachsten Tat führt (164).
Was den (Unternehmer) charakterisiert, ist wie hier, so überall die Energie der Tat und nicht die des Gedankens. Und diese Funktion ist wesent¬lich für die Entwicklung auf allen Gebieten. Der gleichsam schutzlose neue Gedanke würde so gut wie nie beachtet werden. Er bliebe unbekannt oder doch unverstanden — denn zu der Aufnahme von etwas Neuem ist ein Prozeß des Umdenkens für alle in statischen Bahnen Hingleitenden nötig —, er würde auf Ablehnung oder doch nur auf jene matte, vage Art der Zustimmung stoßen, die zu wirklicher Fruchtbarkeit nie führen kann (544).
Unsre Behauptung ist also, daß ein Unternehmer der¬jenige ist, der neue Kombinationen durchsetzt, wozu, wie wir sahen, nichthedonisches Handeln so gut wie stets nötig ist. (S.172).
Nur dann erfüllt er die wesent¬liche Funktion eines solchen, wenn er neue Kombinationen realisiert, also vor allem, wenn er die Unternehmung gründet, aber auch, wenn er ihren Produktionsprozeß ändert, ihr neue Märkte erschließt, in einen direkten Kampf mit Konkurrenten eintritt usw.(S.174).
Der erste Unternehmer, der den hedonischen Bann bricht, der auf jeder stationären Volkswirt¬schaft ruht, hat große Schwierigkeiten zu überwinden. Sein Tun begegnet Mißtrauen und offenem oder passivem Wider¬stand. Die Rechtsformen und die technischen Bedingungen, deren er bedarf, müssen erst geschaffen werden. Besonders die Finanzierung seiner Unternehmung ist eine ganz neue und unbekannte Operation. Eine starke Persönlichkeit nur kann sich da durchsetzen. Sie unternimmt ein Wagestück, zu dem großer Mut gehört. Mißlingen und Untergang sind wahrscheinlicher als Erfolg. (S. 430)
Bei der Durchsetzung neuer Kombina¬tionen … tut er zweierlei: Erstens fällt er die von einer unübersehbaren Anzahl verschiedener Momente, von denen manche überhaupt nicht genau gewertet werden können, abhängige richtige Entscheidung, ohne diese Momente erschöpfend zu unter¬suchen, was nur wenigen Leuten von ganz bestimmter An¬lage möglich ist, und zweitens setzt er sie dann durch. Das sind die Charakteristika und die Funktionen unsres Unter¬nehmers, unsres Mannes der Tat. Sie sind untrennbar und gleich wichtig. Und das Resultat ist wirtschaftliche Ent¬wicklung, Fortschritt. Nur von unserm Typus gehen sie aus, nur durch seine Betrachtung sind sie zu verstehen (S.177).
Um überhaupt produzieren, seine neuen Kombinationen durchführen zu können, braucht der Unter¬nehmer Kaufkraft. Und diese Kaufkraft wird ihm nicht, wie dem statischen Produzenten, automatisch im Erlös der Produkte aus der vorhergegangenen Wirtschaftsperiode dar¬geboten. Wenn er sie nicht zufälligerweise sonst besitzt — und wenn das der Fall ist, so ist das lediglich die Kon¬sequenz früherer Entwicklung —, muß er sie sich “aus¬leihen" (207-8).

(Die) Tatsache entwicklungsloser Volkswirtschaften lehrt uns daß Individuen, die fähig und geneigt sind, solche Neuerungen durchzuführen, völlig fehlen können (339-40).

Es folgt aus der ganzen Anlage unsres Gedankengangs, daß es kein dynamisches Gleichgewicht gibt. Die Entwick¬lung ist ihrem innersten Wesen nach eine Störung des bestehenden statischen Gleichgewichts ohne jede Tendenz, diesem oder überhaupt irgendeinem andern Gleichgewichts¬zustande wieder zuzustreben. Sie ändert die Daten der statischen Wirtschaft und zwar nicht durch organische Um¬bildung, sondern gerade durch Neugestaltung und sozusagen unorganisch. Sie strebt aus dem Gleichgewichte heraus. Das was man organische Entwicklung nennen könnte, ist etwas andres, führt auf andern Bahnen anderswohin. Tritt dann auch wieder ein Gleichgewichtszustand ein, so ge¬schieht das nicht durch die Triebfedern der Entwicklung selbst, sondern eben durch eine Reaktion gegen dieselbe, durch andre Kräfte, welche ihr gerade das Ende bereiten und eben dadurch die erste Voraussetzung für die Her¬stellung eines Gleichgewichts schaffen. Das erste dagegen, was eintritt, wenn es wieder zu einer Entwicklung kommt, ist die neuerliche Störung des Gleichgewichts der Volks¬wirtschaft. Entwicklung und Gleichgewicht, beides in unserm Sinne genommen, sind also Gegensätze, die einander aus¬schließen. Es wird nicht die statische Wirtschaft durch ein statisches und die dynamische Wirtschaft durch ein dyna¬misches Gleichgewicht charakterisiert, sondern es gibt über¬haupt nur in der erstem in Gleichgewicht. Das Gleich¬gewicht der Wirtschaft ist essentiell ein statisches (489).
Da aber die Tatsachen der Entwicklung ihrerseits nicht einfach in das Gebäude der Statik ergänzend eintreten, sondern sich zum Teile außerhalb desselben als besondres und ein¬heitliches theoretisches Ganzes konstituieren, so handelt es sich in der Nationalökonomie essentiell um zwei verschiedene Tatsachengruppen, nicht etwa nur um zwei Auffassungs¬weisen.(513).

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